„Maßzeichen“ (3 Schulen unter einem Dach) (1972, abgerissen am 8.4.2011)
Otto Herbert Hajek (1927-2005)
1972
Beton
Seit 1964 war Otto Herbert Hajek Mitglied des Vorstandes im Deutschen Künstlerbund. Im Rahmen einer Ausstellung des Künstlerbundes wurde der damalige Oberbaudirektor der Stadt Bochum, Bruno Buchholz, auf Hajek und sein Werk aufmerksam. Die beiden kannten sich schon aus der gemeinsamen Studienzeit in Stuttgart. In der Folge erhielt Hajek den Auftrag, zwölf Schulneubauten, vorwiegend Turnhallen und Aulen, künstlerisch zu gestalten.
Das erste Projekt war das neue Schulzentrum Wiemelhausen, 1970 fertiggestellt, mit der Albert-Einstein-Schule (Gymnasium), der Hans-Böckler-Realschule und der Carl-Arnold-Kortum-Hauptschule (bis 2000).
Für das Schulzentrum gestaltete Hajek im Unterschied zu den anderen Schulen nicht nur Gebäudefassaden, sondern zusätzlich eine farbige Beton-Plastik auf dem Schulhof.
Hajek nannte seine 1972 aufgestellte Plastik ein „Maßzeichen“. Das „Maßzeichen“ gehörte zu den von ihm Stadtikonographien genannten Werken.
Hajek bezeichnete seine den Stadtraum prägenden Kunstwerke als Stadtikonographien. Mit ihnen will Hajek dem Stadtmenschen Plätze der Kommunikation zurückgeben und ein Zeichen setzen gegen die Dominanz der Mobilität und der Funktionalität. Überwiegend in den 70er Jahren entstanden, bringt Hajek durch die Starkfarbigkeit und die einfachen geometrischen Formen der einzelnen Elemente Farbe in die Betontristesse der »autogerecht« ausgebauten Stadt. Darüber hinaus sollen seine Stadtikonographien „Wetzsteine des eigenen Bewusstseins“ sein und den Menschen dazu anregen, sich mit seiner Position im innerstädtischen Gefüge auseinanderzusetzen.
(Virtuelles Hajek-Museum, Glossar)
Später wurde die Plastik von Lehrern und Schülern als Symbol für die „3 Schulen unter einem Dach“ des Schulzentrums aufgefasst.
Aus dem Entstehungsjahr der Plastik (1972) zeigt das virtuelle Hajek-Museum auch eine Lithografie mit dem Titel „Maßzeichen“
1977 entzündete sich eine Kontroverse um die Plastik wegen der angeblich davon ausgehenden Gefahren für die Schüler. Eine „Entschärfung“ wurde gefordert.
Otto Herbert Hajek griff in die Debatte mit einem bemerkenswerten Brief an den Oberstadtdirektor ein:
Ich habe mich intensiv mit dieser Beanstandung beschäftigt, habe Überlegungen angestellt, daß das Maßzeichen von Schülern und Erwachsenen nicht berührt werden könnte, damit eventuelle Unfallgefahren auszuschließen sind. All´ diese Überlegungen, angeregt durch den Gemeindeunfallversicherungsverband, stehen im Gegensatz zu den ursprünglichen künstlerischen Überlegungen, daß das Maßzeichen von Schülern und Erwachsenen über das Begreifen auch verstanden werden sollte. Durch diese Anregung sehe ich natürlich für die Schulkinder weite Gefahren auf dem Schulweg und auf dem Schulgelände selbst. Mit Schrecken sehe ich, daß Kinder an Brückengeländern vorbeigehen, sich darüberbeugen und die Gefahr des Hinunterstürzens ist sehr groß.
Ein unglaublicher Gefahrenherd erscheinen mir Bäume zu sein,die am Schulwege stehen; denn sie laden -und das wissen wir alle aus unserer Kindheit - sehr zum Klettern ein.
Als alarmierend betrachte ich , daß die Fußgängerwege (Bürgersteige) bis heute noch nicht von den Autofahrbahnen getrennt sind, daß die Straßenbahnen nach wie vor ungeschützt - ohne Einzäunung - auf den Straßen fahren.
Das Schulgelände selbst ist terrassiert - die Höhenunterschiede sind nur durch ein Geländer geschützt. Ich habe selbst beobachtet, daß an diesem Geländer die Kinder sich anlehnen, darüberscheuen und die Gefahr des Hinunterstürzens ist sehr groß. Erst durch diese Anregung des Gemeindeunfallversicherungsverbandes ist mir wieder klar geworden, in welch gefährlicher Umwelt wir leben.
Soll man nun vor die Geländer neue Geländer stellen, die zum Überklettern verboten sind?
Soll man Bäume fällen?
Soll man Brücken nicht begehen?
Die andere Möglichkeit, vor allen Unfallgefahren Stacheldrahtrollen zu legen, sieht einfach nicht gut aus, und so wohl auch im Falle meiner Plastik „Maßzeichen“
An der Plastik wurden Schilder befestigt „Erklettern der Betonplastik verboten“. Auf weitere Maßnahmen verzichtete man.
1996 wurde die Plastik in liebevoller Kleinarbeit restauriert. Der Künstler hatte die Arbeiten durch Hinweise zur Farbgebung unterstützt. Dr. Karhof, seinerzeit Lehrer am Albert-Einstein-Gymnasium, der die Restaurierung angeregt hatte, erinnert sich: “Hajek war auch immer äußerst erbost, wenn es um die Missachtung seiner Werke ging.“
Das Albert-Einstein-Gymnasium wurde im Herbst 2010 abgerissen, die Gebäude der Hans-Böckler-Realschule in Rohbauzustand versetzt.
Am 18.3.2011 fand auf dem nunmehr leergeräumten Gelände vor der Kulisse der einsam stehengebliebenen Plastik der erste Spatenstich für das Neue Gymnasium Bochum statt.
Sehr ungewiss schien an diesem Tag nach dem bereits erfolgten Abriss der Gebäude mit den Hajek-Fassaden das Schicksal der einzig verbliebenen Plastik. Die Versetzung auf einen neuen Standort, etwas abseits des geplanten Neubaus war mit voraussichtlich 60.000 € Kosten veranschlagt. Manche wollten dafür lieber elektronische Tafeln für die neue Schule kaufen.
Am 8.4.2011 wurden dann Fakten geschaffen. Otto Herbert Hajeks Plastik „Maßzeichen“ wurde abgerissen. Der „Bochumer Frühling“ ist zu Ende - sang- und klanglos. Im Kunstmuseum Bochum wurde gleichzeitig eine Ausstellung mit Werken aus der Sammlung Klinker gezeigt. Darunter auch eine kleine Arbeit von Otto Herbert Hajek. Würde die im Müll landen, wäre es der Rede wert?
Mit dem Abriss der Gebäude des Albert-Einstein-Gymnasiums wurde das Maßzeichen zu einem Symbol für das Schulzentrum Wiemelhausen - 1970 topmodern, schon 2011 abbruchreif. Mit dem Abriss der Plastik wurde sie selbst zu einem Symbol für den Umgang mit Kunst im öffentlichen Raum und mit der Stadtgeschichte.
Rot, Blau und Gelb waren die dominanten Farben in den Werken Hajeks. Dabei knüpft er an die Farbenlehre Goethes an: Gelb als Farbe des Absoluten, Rot für Würde und Liebe, Blau für das Transzendente.
Nach dem Studium der Bildhauerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart lebte Hajek ab 1954 als freischaffender Künstler in Stuttgart. In der zweiten Hälfte der 50er Jahre gehörte er zur Avantgarde der informellen Bildhauer in Europa. In den 1960er Jahren ging Hajek dazu über, Beton als künstlerisches Material einzusetzen und erweiterte seine künstlerische Tätigkeit zunehmend in den öffentlichen Raum. Damit setzte er sich der öffentlichen Kritik bewusst aus, deren dialogische Komponente er als notwendiges Element zeitgenössischer Kunst in einer demokratischen Gesellschaft ansah.
Die begehbare Plastik „Frankfurter Frühling“ (1962-64) war die erste „Installation“ von Öffentlichkeitskunst in Deutschland. Die Plastik war eine Auftragsarbeit für „Kunst am Bau“. Ausgestellt wurde die Arbeit auch auf der documenta III in Kassel. Die Bezeichnung des Bochumer Programms als „Bochumer Frühling“ hat hier ihre Wurzeln.
Mit seinen Stadtraumgestaltungen wollte Hajek Zeichen setzen für eine menschlichere Gestaltung städtischer Umgebung und dem urbanen Menschen Plätze der Kommunikation und der Auseinandersetzung - nicht zuletzt mit sich selbst - geben.
In Stuttgart ist Hajek mit sehr vielen Kunstwerken vertreten. 2003 wurde die Otto Herbert Hajek-Kunststiftung der Stadt Stuttgart gegründet, in die der Künstler einen umfangreichen Teil seines Lebenswerkes als Schenkung einbrachte.
Schulzentrum Wiemelhausen
Querenburger Straße 35 / 45
44789 Bochum
Siehe auch:
„Bochumer Frühling“
Mosaikwand Haus am Glockengarten
Nachlesen:
Wikipedia: Otto Herbert Hajek
Hajek Museum Werkarchiv: Lithografie Maßzeichen (1972)
O. H. Hajek Museum: Homepage
Welt der Form: Otto Herbert Hajek
Karlsruher Institut für Technologie (KIT): Online-Findbuch zum architekturbezogenen Bestand. Otto Herbert Hajek.
K.i.ö.R. Frankfurt: Frankfurter Frühling (1964)
KAH Bonn: Pressemappe O. H. Hajek