artibeau : kunst in bochum - umsonst und draußen

Elba (1978)

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Herbert Lungwitz (1913-1992)
1978
Baukeramik

Im Wattenscheider Stadtgarten befinden sich zwei Skulpturen von Herbert Lungwitz. Beide stammen aus dem gleichen Jahr und sind formal und thematisch locker verknüpft. Verbindendes Glied sind Feuer, Eisen und die Etrusker. „Elba“ ist in der südöstlichen Ecke des Gartens platziert, „Schimäre“ diagonal entgegengesetzt in der nordwestlichen Ecke. Das Material beider Skulpturen ist Baukeramik. Keramik wird aus dem Feuer geboren.

Die Mittelmeerinsel Elba stand ab etwa 750 v. Chr. unter zunehmendem Einfluss der Etrusker, die an den umfangreichen Eisenvorkommen auf der Insel interessiert waren und mit dem Abbau begannen. Die Griechen nannten die Insel Aithalia (die rauchende, rußige).

Als während des Ersten Weltkrieges (1914-1918) in Italien das kriegswichtige Eisenerz knapp wurde, zeigten nicht Bergbauexperten, sondern Altertumsforscher einen Ausweg. Sie führten die Hüttentechniker in die kleine Bucht Porto Baratti, die der Insel Elba gegenüberliegt. Der Berg über der Bucht trägt das winzige Nest Populónia. Der Boden ist hier nicht leuchtend rot, wie sonst in der Toskana, sondern braunrot wie Rost. Die Techniker machten Stichproben und stellten fest: Ungeheure Mengen von Schlacken lagerten zu Füßen des Hügels, und diese Schlacken enthielten etwa 30 Prozent Eisen. Es waren die Abraumhalden einer Hüttenindustrie, die vor 2500 Jahren ganz Italien mit dem begehrten Metall versorgt hatte.
Was die Altertumsforscher wussten: Populónia hieß damals Pupluna. Als einzige ihrer Zeit lag diese Stadt direkt am Meer, denn hier wurden Erze verarbeitet, die man von der Insel Elba herüberschaffte. Pupluna war eine reiche und große Stadt. Den Rauch der Schmelzöfen, berichten Zeitgenossen, konnten die Seeleute schon von weitem sehen.

Die Etrusker erschmolzen hier schon vor fast dreitausend Jahren Eisen. Sie beherrschten eine Technologie, die immerhin eine Temperatur von etwa 1500 Grad Celsius erfordert. Unter dem Schlackenberg stießen Archäologen auf eine Nekropole, eine unterirdische Stadt, die die Etrusker für ihre Toten angelegt hatten.
(Vgl.: Hans Markus Thomsen: Das Rätsel der Etrusker. In: Merian 33. Jg. (1980) H. 9, S. 50 - 55.)

Der Heimat- und Verkehrsverein Kettwig stellte Herbert Lungwitz 1991 so vor:

Das typische Merkmal an Lungwitz ist, dass es keine typischen Merkmale gibt: Immer wieder überrascht der Künstler als Formerneuerer, entzieht sich der 78jährige sowohl in Bezug auf Materialien als auch auf die Aussagen seiner Kunst allen Konventionen und Erwartungen. „Wiederholung“, sagt Lungwitz, „ist Dummheit“.
Lungwitz´ Atelier ist ein ehemaliges Schulgebäude in Steele. Hier arbeitet der Künstler, hier empfängt er seine Schüler zweimal in der Woche zum Mal- oder Bildhauerunterricht - hier herrscht der alte Mann mit dem silbergrauen Backenbart über eine Welt bizarr-schöner Figuren, Skulpturen und wandgroßen Reliefs, in denen der Künstler über Liebe, Tod und Geburt, über Unterdrückung durch Staat und Kirche philosophiert. Lungwitz´ Objekte erinnern an Totempfahle oder Götzenbilder, an abgesandte einer phantastisch-surrealen Welt, aus Industrieschrott, Holz und Stein.
„Kunst“ sagt Lungwitz „ist ein Appell an die Sinne, nicht an den Vorstand“. Da sitzt er in seinem grauen Hausmeisterkittel, schüttet sich Milchkaffee aus der Thermoskanne nach und sinniert über den heutigen Kunstbetrieb. Der sei sektiererisch geworden, richte sich nach dem Geschmack einer kleinen elitären Kaste und werde vom Geld bestimmt. „Heute“, die Stimme wird scharf, die Augen leuchten auf, „gibt es kaum noch Kunst. Das ist alles Dekoration.“ Dem „kapitalistischen Spiel“ des modernen Kunstbetriebes, der nur noch Märkte bedient, hat sich der Bildhauer immer verweigert. Lungwitz macht den Unterschied zu einer Großzahl der Kollegen deutlich: „Ich produziere keine Ware - ich bringe meine Gefühle nach draußen.“

Standort:
Stadtgarten Wattenscheid
Parkstraße / Stadtgartenring
44866 Bochum (Wattenscheid)

Siehe auch:
Übereinander
Schimäre
Tisch des Gastgebers

Nachlesen:
Wikipedia: Herbert Lungwitz
Wikipedia: Elba
Thomas Gransow: Die Etrusker

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Chronologie 1973-2011

1973  Die letzte Zeche in Bochum wird stillgelegt (Hannover/Hannibal)

1973  Die erste Ölkrise gipfelt in Sonntagsfahrverboten.

1973  Es gibt einen Anwerbestopp für Gastarbeiter außerhalb der EG.

1974  Erste S-Bahnen fahren im Revier (S1, S3)

1976  Erste Tempo-30 Zone in Bochum auf Betreiben einer Bürgerinitiative.

1977  Terminal von Richard Serra auf der documenta 6 in Kassel. Von Bochum gekauft, 1979 aufgestellt.

1979  Ruhrstadion (Rewirpower-Stadion) eröffnet.

1979  Claus Peymann wird als Nachfolger von Peter Zadek für sieben Jahre Intendant in Bochum.

1980  Der Kemnader Stausee wird freigegeben.

1980  Der RVR veranstaltet den ersten „Tag des Radfahrens“ im Revier.

1983  Hausbesetzungen im Heusnerviertel gegen den Abriss für den Außenring.

1984  Das Album „4630 Bochum“ macht Herbert Grönemeyer (und Bochum) zum Star.

1986  Erstmals „Bochum Total“. Das Festival entwickelt sich zum größten kostenlosen Rock-Pop-Festival in Europa.

1988  Starlight Express startet in Bochum.

1989  Die U35 zwischen Herne und Bochum Hbf ist fertig. Länge: 10 km. Bauzeit: 20 Jahre. Kosten: 800 Mio. DM.

1993  Die „Unabsteigbaren“ vom Vfl Bochum müssen erstmals in die Zweite Liga. Der Vfl wird zur „Fahrstuhlmannschaft“.

1995  Das Deponie-Block-Heizkraftwerk an der Zentraldeponie Kornharpen geht ans Netz .

1999  Nach dreiundvierzig Jahren verliert die SPD in Bochum die absolute Mehrheit. Bochum wird rot-grün.

2002  RuhrCongress Bochum mit Renaissance Bochum Hotel fertiggestellt.

2002  Erste Ruhrtriennale (2002-2004) unter Gründungsintendant Gerard Mortier.

2003  Eröffnung der revitalisierten Jahrhunderthalle Bochum, ein Stück „Transformationsarchitektur“.

2004  Bochum ist seit 100 Jahren Großstadt.

2007  Einweihung der neuen Synagoge.

2008  Im Januar wird die Schließung des Nokia-Werks Bochum bekannt gegeben, es wird im Mai geschlossen.

2009  Opel steht auf der Kippe. 1800 von 6000 Arbeitsstellen werden abgebaut.

2010  Das Ruhrgebiet ist Kulturhauptstadt Europas.

2011  Die Stadt Bochum reißt ihre einzige Hajek-Plastik ab.

2011  Altmetalldiebe stehlen in Duisburg und Mülheim tonnenschwere Skulpturen.

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